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Carlo Kriete

Erinnerungen an Russland 1943/44

 

 

Wir bogen in einen Knüppeldamm ein. Hier waren die Stellungen der schweren Infanteriegeschütze und der Gefechtsstand der Kompanie. (....) Die ganzen Stellungssysteme waren mit Knüppeldämmen verbunden, ohne diese Einrichtung wäre man in den Waldsümpfen abgesoffen. Auf einer Biegung lag Granatwerferfeuer. Dann kam ich beim 1. Zug an, kroch in den einzigen Bunker, der überfüllt war und meldete mich beim Stellungsoffizier Hinrichs der an dem selbstgezimmerten Tisch saß. Alles war neu und ungewohnt für mich, die niedrige Balkendecke des Bunkers wirkte erdrückend, es roch nach Erde und nach Harz. (....)

 

Ein schmaler, glitschiger Waldpfad führte zum Knüppeldamm. Mit Kochgeschirren und Verpflegungssack beladen lag man andauernd auf der Nase. Fluchen und Schimpfen auf die Gummistiefel, die zwar wegen des Sumpfwassers sehr vorteilhaft waren, mit denen man aber furchtbar leicht ausrutschte. Hier war alter Hochwald, gewaltige Stämme, und in dem Sumpf eine üppige Vegetation. An einer bestimmten Stelle hielt ich jedes Mal den Atem an. Gefallene Russen verbreiteten einen derartigen Verwesungsgeruch, daß es kaum zu ertragen war. Verschiedene waren zersetzt oder verfault, nur einer noch als Mensch zu erkennen. Er lag nah am Wege, in den hohen Waldkräutern. Das Gesicht war schwarz und aufgedunsen, die Lippen wulstig (....) Aus dem offenen Mund drängten sich dicht an dicht unzählige Maden, ebenso aus der Höhle des Magens, grünschillernde Fliegen umschwirrten die Leichen und herrliche Blumen überwucherten sie. Sie schienen manchmal sehr gut hier zu gedeihen. Als ich das letzte Mal hier vorbeikam war der Schädel vom Rumpf getrennt und lag aufrecht, etwas seitab. Er sah den Vorübergehenden an. (....)

Der große Knüppeldamm, auf dem Panzer rollen sollten war noch nicht fertig. Hier arbeiteten Strafbattaillone und Kompanien. Zusammengesetzt aus allen drei Wehrmachtsteilen. Die Angehörigen dieser „Sonderverbände“ sahen elend aus. (....)

Auf einem dieser Wege machte ich zum ersten Mal, auf der Biegung des Knüppeldammes zur Rollbahn, wo es nach nur schlecht verscharrten Leichen roch, Bekanntschaft mit der so sehr gefürchteten Stalinorgel. Ich dachte, es sei vorbei und preßte mich hinter einen Balken, mit furchtbarem Krachen zerborsten die Granaten. Als sich der Rauch verzogen hatte sah ich nicht weit von mir riesige Splitter im Knüppeldamm stecken.

 

Und wieder an einem anderen Tag, da war ich ganz allein auf Absperrkommando, an der Strasse, besser gesagt Knüppeldamm, die Kaibolowo mit Kongolowo und Popowka verbindet. Zu mir herüber schallten die unendlich traurigen, schönen Gesänge der russischen Frauen, die etwas so anziehendes haben, daß man sie nie vergessen kann. Wir marschierten auf der Rollbahn in Richtung Gossno. Die Strasse einmal von Schlachtfliegern angegriffen, die Bombe fiel weit vor uns. Der Morgen graute. Meine Stiefel waren steinhart und die verkrusteten Stellen an den Füßen brachen wieder auf, das Blut lief in die Strümpfe. Macht nichts, nur zutreten, dann vergehen die Schmerzen. (...) marschieren, marschieren, und dann die Müdigkeit, man strauchelte bei jedem Schritt. Der Stock in der Hand war unentbehrlich. Die Morgensonne vergrößerte die Müdigkeit und nur durch andauerndes Rauchen hielt ich mich wach. Keiner sprach ein Wort, nur hin und wieder hörte man einen Fluch auf die Infanterie, der aus tiefstem Herzensgrund kam.

 

Der Weg führte nur noch über Knüppeldämme, die Füße noch müder machten. Der Marsch ging, nur von kurzen Ruhepausen unterbrochen, weiter. Sollte er denn kein Ende nehmen? Die Sonne glühte, die Feldfluren waren leer und immer quälender wurde der Durst. Man hätte aus jeder Wasserpfütze getrunken, dann hätte man aber die weitermarschierende Truppe nicht mehr eingeholt. Es ging durch Wälder, über weite Einöden, durch Dörfer und so immer abwechselnd. Dann gab es Kaffee, er wurde brennend heiß runter gegossen und wieder marschieren, marschieren. In einem Dorf hatten die Russenfrauen, als sie uns in einer Staubwolke nahen sahen, Wassereimer vor die Türen gestellt und wir waren unendlich dankbar für diese Erquickung. Stumpf und interesselos ging es weiter, die Gegend war sandig und hügelig geworden, von einer großen Wegkreuzung aus sah man weit über die russische Landschaft. Tiefflieger griffen an. Luftkämpfe tobten, 4 Russen stürzten brennend ab. Endlich, endlich waren wir da. In der Nähe des Dorfes Pricholowr wurde unser Lager aufgeschlagen. Nach über 60 km Fußmarsch, davon 40 km Knüppeldamm, sank alles endlos erschöpft nieder.

 

Dann wurden Viererzelte gebaut am Wiesenabhang, gegessen und getrunken. Dann ging ich zum Baden. In einer kleinen Wiesenschlucht, im Schatten der Bäume, strömte das Wasser eines 20 Meter breiten Flusses. Ach, war das herrlich, den ganzen Dreck abzuseifen im fließenden Wasser. Diese Kühle, diese göttliche Erfrischung nach der Gluthitze des Tages. Ähnliche Erquickung habe ich nur selten empfunden und so still an diesem wirklich romantischen Ort, lautlos strömte das Wasser, nur die Schilfhalme raschelten leise aneinander, die Wassertropfen perlten vom ganzen Körper und aus dem Wasser sah mir mein Spiegelbild entgegen wie neugeboren. (...)

 

Ein Offizier, er war zum 7. Mal verwundet, hatte einen Splitter ins Gesäß gekriegt, wir mußten ihn mit zurücknehmen. Als er auf uns gestützt heraus trat brausten Ratas heran, mit Bordwaffen schießend. Sie hatten unser Fahrzeug gesichtet. Jeder dachte, das Gräßliche wird geschehen, in Deckung konnte keiner springen, da wir den Verwundeten stützten. Aber siehe, sie drehten ab, ob der Pilot wohl den Verwundeten erkannt hat? Dann war es ein ehrenhafter Kerl. Endlich hatten wir den Offizier auf dem Wagen. Die Hose hing ihm in roten Fetzen herunter. Er blutete sehr stark. Wir waren eben ein Stück weg, da setzte auf der ganzen Front ein Feuer der gefürchteten „Stalinorgeln“ ein. In wilden Sprüngen suchten die Landser Deckung. Es ist auf einen Schlag auf der ganzen Linie, nur geringe Abstände liegen zwischen den Einschlägen, ein Aufflammen und Krachen. Wir waren schon weit genug, die Splitter konnten uns nicht mehr erreichen. Das Holpern des Wagens über den Knüppeldamm bereitete dem Verwundeten starke Schmerzen, doch stöhnte er nicht, ich gab ihm eine Zigarette. (....)

 

Dieser Weg wurde einer der unheimlichsten meines Lebens. Stockfinster war’s und wir zappelten uns durchs Gelände. Alle Augenblicke flog man mal in einen Trichter oder stolperte über Leitungsdraht. Endlich war der Knüppeldamm, der uns auf geradem Weg zur B-Stelle führen mußte, erreicht. Dies war ohne Zweifel der fürchterlichste Knüppeldamm, den ich in Rußland kennenlernte. Der Knüppeldamm war arg zerschossen und links und rechts war das Gelände von Granaten zerwühlt, Trichter neben Trichter, die alle voll Sumpfwasser waren. Wenn die Leuchtkugeln aufblitzten sah man in das gespenstische Gesicht dieser fürchterlichen Landschaft in der von den Wäldern nur noch einzelne Baumstümpfe übrig geblieben waren. Der Knüppeldamm war in jener Nacht gedrängt voll, ein Regiment zog nach hinten, das andere nach vorne. Das Getrappel der Füße war weit zu hören. Plötzlich überfiel uns der Ivan mit rasendem Feuer, mit Pak, Flak und ratsch-Bumm. Das war verdammt ungemütlich, alles lag dicht an dicht voll Menschen, einer ging hinter dem andern in Deckung. Keiner konnte ins Gelände, da wäre er abgesoffen....

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